Das sagt die Wissenschaft,  Kaffeegeschichte(n)

Kaffee und Psyche – Das sagt die Wissenschaft

KI generiertes Bild einer griechischen Vase
Die griechische Göttin Psyche stand Pate für den Begriff, mit dem wir heute geistige und seelische Bereiche beschreiben.

Für Millionen von Menschen ist er das unverzichtbare Ritual, das den Tag einläutet: ein Energie- und Konzentrations-Booster, der hilft, die Anforderungen des Alltags zu meistern. Die Tasse Kaffee am Morgen ist ein fester Bestandteil unserer Kultur. Doch was steckt wirklich hinter der Wirkung von Koffein auf unsere Psyche? Ist es nur ein harmloser Wachmacher oder eine potente Substanz mit tiefgreifenden und oft widersprüchlichen Effekten? Die Beziehung zwischen Kaffee und unserer psychischen Gesundheit ist weitaus komplexer und paradoxer, als allgemein angenommen wird.

Das Kaffee-Paradoxon

Dieses verblüffende Phänomen wird als „Kaffee-Paradoxon“ bezeichnet. Neuere Forschungen zeigen, dass schnell wirksame Depressionstherapien wie die Behandlung mit Ketamin oder die Elektrokrampftherapie (EKT) ihre Wirkung durch einen starken Anstieg des Botenstoffs Adenosin im Gehirn entfalten. Adenosin wirkt wie eine natürliche Bremse im Gehirn; es reguliert die neuronale Erregbarkeit und fördert den Schlaf. Die Therapien nutzen diesen Mechanismus, um das überaktive depressive Gehirn gezielt zu beruhigen.

Das Problem, Koffein funktioniert genau umgekehrt. Es verdankt seine stimmungsaufhellende und wachmachende Wirkung der Tatsache, dass es die Adenosin-Rezeptoren im Gehirn blockiert. Diese Blockade hebt die Bremse von anderen Botenstoffen auf und erhöht so die Aktivität des „Glückshormons“ Dopamin, was zu mehr Wachheit und einer besseren Stimmung führt.

Hier liegt der zentrale Widerspruch: Damit Therapien wie Ketamin und EKT wirken können, benötigen sie freie Adenosin-Rezeptoren. Koffein besetzt und blockiert jedoch genau diese Andockstellen. Es ist ein überraschender biochemischer Konflikt, bei dem das alltägliche Genussmittel die Wirksamkeit einer hochspezialisierten medizinischen Behandlung untergraben kann. Die US-Psychiaterin Ma-Li Wong fasst die klinische Relevanz dieses Problems zusammen:

„Patienten erscheinen routinemäßig zu Ketamininfusionen oder EKT, nachdem sie ihren Morgenkaffee konsumiert haben. Basierend auf Luos mechanistischen Daten müssen wir uns fragen, ob das ihre Behandlung sabotiert.“

Absetzen von Kaffee kann schwere Depression auslösen

Die oft unterschätzten Entzugserscheinungen von Koffein können weit über Kopfschmerzen hinausgehen und schwere psychische Krisen auslösen. Obwohl es sich nicht um klinische Studien handelt, zeichnen Erfahrungsberichte in Online-Foren wie Reddit ein dramatisches und warnendes Bild. Ein Nutzer beschreibt, wie er nach dem abrupten Absetzen von Kaffee einen „Nervenzusammenbruch“ erlebte, der ihn in eine „schwere Depression“ stürzte.

Ein anderer Nutzer bezeichnet den Rat eines Psychologen, während einer depressiven Phase abrupt mit dem Kaffeetrinken aufzuhören, als „geradezu gefährlich“. Diese Erfahrungen deuten auf ein Phänomen hin, das als „Post-Akutes-Entzugssyndrom“ (PAWS) bekannt ist, bei dem die Symptome Monate andauern können. Ein Betroffener beschreibt es so: „Es wird immer schlimmer, bevor es besser wird.“

Die Potenz der Substanz wird in einem besonders eindrücklichen Fall deutlich: Eine Person geriet nach zweimonatiger Abstinenz in einen Zustand mit „suizidalen Gedanken“. Nach dem Genuss von nur zwei Beuteln Tee, die eine geringe Menge Koffein enthielten, besserten sich die Symptome sofort. Diese Berichte unterstreichen, wie tiefgreifend Koffein in die Hirnchemie eingreift und dass ein plötzlicher Entzug für vulnerable Personen psychisch destabilisierend wirken kann.

Kaffee, ein Schutzschild gegen Depression?

Während ein abrupter Entzug in eine Krise stürzen kann, legt die Forschung paradoxerweise nahe, dass ein konstanter Konsum als Schutzschild wirken könnte. Diese Erkenntnis steht in krassem Widerspruch zu den vorherigen Punkten und unterstreicht die paradoxe Natur des Kaffees. Die renommierte „Nurses‘ Health Study“, eine prospektive Studie mit über 50.000 Frauen, lieferte hierzu erstaunliche Ergebnisse.

Die Forscher fanden eine inverse Beziehung zwischen dem Konsum von koffeinhaltigem Kaffee und dem Risiko, eine Depression zu entwickeln. Frauen, die vier oder mehr Tassen pro Tag tranken, hatten ein um 20 % geringeres Depressionsrisiko im Vergleich zu Frauen, die fast keinen Kaffee tranken.

Das Verblüffende daran: Dieser schützende Effekt wurde ausschließlich für Kaffee nachgewiesen, nicht jedoch für entkoffeinierten Kaffee, Tee oder andere koffeinhaltige Getränke. Die Forscher selbst betonen, dass dies eine Korrelation und kein Kausalitätsbeweis ist. Rätselhaft bleibt, warum dieser Effekt spezifisch für Kaffee und nicht für andere koffeinhaltige Getränke wie Tee nachgewiesen wurde, was die einfache Gleichung „Koffein = Schutz“ in Frage stellt. Eine Meta-Analyse von Wang et al. stützt diese Beobachtung und kam zu dem Schluss, dass jede tägliche Tasse Kaffee das Depressionsrisiko um etwa 8 % senken könnte.

Wechselwirkung – Wie Kaffee Psychopharmaka stören kann

Kaffee kann die Wirkung von Medikamenten zur Behandlung von Angststörungen und anderen psychischen Erkrankungen empfindlich stören. Die Kommunikation zwischen Arzt und Patient über den Kaffeekonsum wird oft vernachlässigt, obwohl sie für den Erfolg einer medikamentösen Therapie entscheidend sein kann. Zwei Beispiele verdeutlichen dies:

  1. Benzodiazepine (z.B. Xanax): Diese Medikamente werden häufig zur Behandlung von Angststörungen eingesetzt und haben eine beruhigende Wirkung. Koffein als Stimulans wirkt dieser Sedierung direkt entgegen. Es kann die angstlösende Wirkung der Benzodiazepine aufheben und bei den Betroffenen zu erhöhter Angst oder sogar Panikattacken führen.
  2. Clozapin: Bei diesem atypischen Neuroleptikum, das bei schweren psychischen Erkrankungen eingesetzt wird, ist die Wechselwirkung besonders überraschend. Patienten wird hier geraten, ihren Koffeinkonsum konstant zu halten. Eine Erhöhung kann Wirkung und Nebenwirkungen des Medikaments verstärken, während ein plötzlicher Entzug die Wirksamkeit signifikant vermindern kann.

Dies macht deutlich, dass der Kaffeekonsum in der psychiatrischen Praxis kein Nebenschauplatz, sondern ein pharmakologisch relevanter Faktor ist, der über Erfolg oder Misserfolg einer Therapie entscheiden kann.

Fazit

Die wissenschaftlichen Erkenntnisse zeichnen ein komplexes Bild: Kaffee ist ein zweischneidiges Schwert. Er kann die Stimmung heben und möglicherweise sogar vor Depressionen schützen. Gleichzeitig kann er moderne Therapien sabotieren, bei Entzug schwere psychische Krisen auslösen, die Wirkung wichtiger Psychopharmaka stören und in Kombination mit Stress unsere Wahrnehmung verzerren. Die Vorstellung vom einfachen, unbedenklichen Wachmacher ist nicht länger haltbar.

Dies führt zu einer entscheidenden Frage: Angesichts seiner tiefgreifenden Wirkung auf unser Gehirn, ist es an der Zeit, Kaffee weniger als einfaches Getränk und mehr als die potente psychoaktive Substanz zu behandeln, die er tatsächlich ist?

Quellen

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Clarissa Schneider, geboren und aufgewachsen in Coburg, zog für ihr Studium nach Würzburg, wo sie ihre Leidenschaft für Espresso entdeckte. Während ihres Studiums arbeitete sie als Kellnerin in einem gemütlichen Café, wo sie ihre ersten Erfahrungen mit der Zubereitung und dem Genuss von Espresso machte. Diese Zeit prägte sie nachhaltig und weckte in ihr eine tiefe Begeisterung für die Kunst der Kaffeezubereitung. Seitdem hat Clarissa ihre Liebe zu Espresso nicht mehr losgelassen. Als leidenschaftliche Kaffeeliebhaberin und Autorin teilt sie ihr umfangreiches Wissen und ihre Erfahrungen gerne mit anderen. Sie schreibt an dieser Stelle die feinen Nuancen des Espresso-Genusses, die neuesten Trends der Kaffeeszene und die faszinierende Welt des Kaffeeanbaus. Bei KaffeeTechnik Seubert ist Clarissa außerdem in der Kundenbetreuung tätig und managet zusätzlich unseren Marese Club.

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